Vom Fußballspielen und Einkaufen – eine Parabel

Vom Fußballspielen und Einkaufen – eine Parabel

Immer, wenn ich mich in Diskussionen mit so genannten Jagdgegnern wiederfinde, versuche ich, den wahren Grund für deren negative Einstellung zu finden, denn es handelt sich ja keineswegs nur um dumme und ungebildete Zeitgenossen. Im Gegenteil, in den allermeisten Fällen sind es durchaus gebildete, ja sogar intelligente Menschen, die eigentlich in der Lage sein müssten, die Gründe für ihre Ablehnung nachvollziehbar artikulieren zu können. Eine Reihe davon sitzt bei uns sogar in den Parlamenten, ein Wort, das sich ja von lat. parlere für reden ableitet. Aber da kommt meist nichts, nur verbiesterte Mienen. Es wird argumentiert damit, dass man als zivilisierter Mensch schließlich es nicht nötig habe, die süßen Bambis totzuschießen usw., man müsse einfach, wie es einmal jemand ausdrückte, seine „neandertaloiden“ Triebe im Griff haben und ähnliches mehr. Nebenbei, die gleichen Leute finden nichts dabei, im Zeichen von „zurück zur Natur“ ihre bestens genährten Hassos ohne Leine auch bei Tiefschnee durch den Wald zu schicken (Unserer jagt keine Bambis!!), zu jeder Tages- und Nachtzeit in den Einständen des Schalenwildes herumzuschleichen, um Pilze zu suchen, mit Mountainbikes pulkweise im Höllentempo durch den Wald zu preschen u. v. a. m. Es handelt sich auch nicht durchweg um Veganer o. ä., sondern um Menschen, die sich durchaus artgerecht ernähren, d. h., Fleisch konsumieren und sich daher bester Gesundheit erfreuen. Und da kommt mir immer ein altes Erlebnis in den Sinn.

Ich bin Dortmunder, genauer gesagt, Huckarder Junge, Jahrgang 1951 (von Geburt an deswegen BVB- Fan, aber das nur nebenbei). Wir lebten, als ich Kind war, in Mietshäusern der Bergbaugesellschaft, wie bei Bergarbeitern (oder Püttleuten) damals üblich. Dinge, ohne die heute menschliches Leben völlig unmöglich ist – Telefon, Satelliten- Fernsehen mit 200 Programmen, Computer, Internet, Handy, Twitter, Facebook, Öko- Autos -, gab es damals nicht. Wir haben nichts von all dem vermisst, einfach deswegen, weil wir es gar nicht kannten. Es gab noch keinen Urlaub in Italien, geschweige denn in der Karibik, sondern nur „hinterm Haus“ oder „im Gatten“. Es gab noch kein Sozialamt, sondern die „Fürsorge“, und wenn es irgendwo „eng wurde“, hatte man die Familie. Wir kamen aber gut mit dem klar, was wir hatten. Was es damals aber, im Gegensatz zu heute, im Überfluss gab, waren viele andere Kinder und Kumpels und Freunde, es gab jede Menge klettern und Cowboy spielen und Drachen steigen lassen, es gab Obst und Gemüse klauen mitsamt allfälligem anschließendem „Hose-stramm-ziehen“. Und es gab, vor allem, Fußball spielen, „pölen“ oder „batzen“ genannt.

So weit zur Vorbemerkung. Nun hatten wir eine Wohnungsnachbarin, nennen wir sie Tante R., damals gut Mitte 20, drei kleine Kinder und, sagen wir, ausgeprägt kurvig (sehr!). Kein Makel damals, im Gegenteil, Püttmänner mochten „watt Strammes im Aam“, wie man das nannte, die waren diesbezüglich allesamt Kenner. Diese Figur aber hatte auch Ursachen, vor allem anderen ein gesegneter Appetit auf gute Dinge wie Rinder- und Schweinebraten, Koteletts, damals noch gut marmoriert, mit ordentlichem Fettrand und entsprechend lecker, auf fetten Speck, Möppkenbrot, Panhas und die gute deutsche Wurst, alles mit möglichst viel „guter Butter“ gebraten bzw. ergänzt. Das war damals noch teuer, aber sie konnte sich das erlauben; Onkel Julius (ihr Mann, alle Erwachsenen waren damals für uns „Tante“ und „Onkel“) raubte unter Tage im Gedinge Strecke aus und verdiente für unsere damaligen Verhältnisse fürstlich.

Mein Problem war: Sie ging ganz normal, wie damals alle Hausfrauen, jeden Tag zum Einkauf. Nur wenn Wurst und Fleisch gekauft werden mussten (oft!), bat sie regelmäßig meine Mutter, mich für sie zum Metzger zu schicken, ca. zwei Kilometer von uns entfernt, Ecke Varziner Straße / Mattlacke (Metzger D. hatte anerkannt das beste Fleisch, die beste Wurst rundum). Natürlich zu Fuß, das kostete Zeit, während die Kumpels pölten. Klar, ich maulte jedes Mal, aber damals war es üblich, zu tun, was Mama und Papa sagten. Eines Tages dann aber fasste sich meine Mutter auf mein Drängen hin ein Herz und fragte die Nachbarin, warum sie denn nicht selbst zum Metzger gehe, schließlich mache sie den anderen Einkauf ja auch selbst. Dann kam`s:

„Weil ich datt nich so happ mittehn Mezzga. Der steeta in sein´ Laa´n, iss frointlich am grinsen un tuut wie Vatta bei die Tau´m. Dabei weiß geeda, datta den ganzen Tach nix andres tuut als die aam´ Tierkes umzubring´.“

(Für Nicht- Ruhrpöttler die (freie) Übersetzung: Weil der Metzger mich verunsichert. Der steht da in seinem Laden, lächelt freundlich und tut, als könne er kein Wässerchen trüben. Dabei weiß jeder, dass er den ganzen Tag nichts anderes macht als die armen Tierchen umzubringen.)

Bang! Darauf hätte nicht mal Buddha herausgeben können. Es gab nichts zu erwidern, jedenfalls nichts, was vor diesem Gebirge an Logik und Erkenntnis auch nur annähernd als Einwand hätte geltend gemacht werden können. Ich war schlicht überrollt. Mama auch. Damals, im zarten Alter von acht oder neun Jahren, entstand mein manchmal resigniertes, auf jeden Fall philosophisch- nachsichtiges Bild von meinen Mitmenschen. Ich erkannte, dass es Erdbeben, vor allem Äonen brauchen würde, ein derart solide fundamentiertes, durchdachtes und zutiefst in sich ruhendes Weltbild in ein normales, realitätsangepasstes umzuformen und dass ich kleiner Junge das bis zum Eintritt ins Erwachsenenalter auf keinen Fall schaffen konnte. Ich ging weiter zum Metzger. Pölen hin, batzen her. Keine Diskussionen.

Manfred Nolting

Ein Jagdmensch

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